Die klinische Untersuchung des Kniegelenks (2024)

Klinische Funktionsdiagnostik des Meniskus

Eine akute Meniskusläsion ist eine der häufigsten Sportverletzungen. Der Verletzungsmechanismus kann eine direkte oder indirekte Krafteinwirkung auf das Kniegelenk sein, durch passive Rotation des Oberschenkels bei fixiertem Unterschenkel und flektiertem Knie oder ruckartige Extension bei innenrotiertem Unterschenkel und flektiertem Knie. Aufgrund der Lage zwischen Tibia und Femur ist ein direktes Trauma des Meniskus sehr selten. Oftmals stellen sich die Patienten mit einer Symptomtrias aus Schmerzen, Schwellung und dem Kardinalsymptom der Gelenksblockade (rigides Beuge- oder Streckdefizit) vor (3). Neben akuten Meniskusverletzungen kann es jedoch auch durch Bagatelltraumen (Be- und Entkleiden) auf der Basis einer degenerativen Vorschädigung zu einem Einreißen bzw. Abreißen von Meniskusanteilen kommen.
Die klinische Untersuchung des Kniegelenks (1)Die klinische Diagnostik der Gelenkskompartimente basiert auf einer Kombination aus Schmerzprovokation bei Stressbelastung (Varus, Valgus oder alternierend Rotation) und seitengleicher Kompression. Beim Steinmann I-Zeichen wird die Untersuchung in Rückenlage durchgeführt. Am flektierten Kniegelenk wird durch den Untersucher passiv eine wiederholte Innen- und Außenrotation des Unterschenkels (kreisende Bewegung) durchgeführt. Durch zusätzliche Kompression des medialen oder lateralen Gelenkspalts ist bei Vorliegen einer Meniskusschädigung ein Schmerzereignis ipsilateral des Druckpunktes auszulösen.
Die klinische Untersuchung des Kniegelenks (2)Bei positivem Steinmann I-Zeichen kann mit zunehmender Flexion des Kniegelenks eine Schmerzwanderung nach dorsal im betroffenen Gelenkkompartiment ausgelöst werden (Steinmann II-Zeichen).
Die klinische Untersuchung des Kniegelenks (3)Auch der McMurray-Test erfolgt in Rückenlage. Bei flektiertem Hüft- und Kniegelenk der betroffenen Seite erfolgt zur Prüfung des Innenmeniskus eine maximale Außenrotation und Adduktion des Unterschenkels. Durch Palpation und gegebenenfalls Extension, ist bei Vorliegen eines Innenmeniskusschadens ein Schmerz auslösbar (Abb.8). Zur Prüfung des Außenmeniskus erfolgt entsprechend die Untersuchung durch Unterschenkelinnenrotation und Abduktion des Unterschenkels bei Palpation des lateralen Gelenkspalts (Abb.9).

Die klinische Untersuchung des Kniegelenks (5)Beim Payr-Zeichen wird in Rückenlage das betroffene Kniegelenk flektiert und im Hüftgelenk abduziert. Durch die resultierende Kompression des medialen Meniskus, kommt es bei einer vorliegenden Schädigung zur Schmerzprovokation. Dies verstärkt sich, je mehr das flektierte Knie in Richtung Unterlage gedrückt wird, insbesondere bei einer Innenmeniskushinterhornläsion (Abb.10).
Die klinische Untersuchung des Kniegelenks (6)Das Bragard-Zeichen kann ebenfalls bei vorliegender Druckschmerzhaftigkeit am medialen Meniskus durchgeführt werden. Mit dem Finger wird die genaue Lokalisation aufgesucht, der Unterschenkel steht dabei in Außenrotationsstellung. Sodann erfolgt eine Innenrotation des Unterschenkels. Verschwindet der Schmerz dadurch, so ist das Bragard-Zeichen als positiv zu deuten.
Die klinische Untersuchung des Kniegelenks (7)Der Apley-Grinding / Kompressionstests erfolgt in Bauchlage. Das betroffene Kniegelenk wird 90° flektiert. Die Kompression erfolgt durch Druck des Untersuchers auf die Ferse, das „Grinding“ erfolgt durch gleichzeitige Rotationsbewegungen des Unterschenkels auf dem fixierten Femur. Ein so ausgelöstes Schmerzereignis kann Hinweis auf eine Meniskusläsion geben.
Die klinische Untersuchung des Kniegelenks (8)Beim Apley-Distraktionstest wird das betroffene Kniegelenk ebenfalls in 90° flektiert. Die Rotationsbewegungen am Unterschenkel erfolgen jedoch unter Zug. Ein so ausgelöstes Schmerzereignis ist eher sekundär hinweisgebend für eine Meniskusläsion und zeigt primär eine mögliche Bandverletzung an.
Die klinische Untersuchung des Kniegelenks (9)Das Böhler-Zeichen st als positiv zu werten, wenn in Rückenlage, bei gestrecktem bzw. leicht flektiertem Kniegelenk, ein Varus- oder Valgusstress (Kompression des medialen und lateralen Gelenkspaltes) eine akute Schmerzauslösung provoziert.

Klinische Funktionsdiagnostik bei ligamentärer Instabilität

Die Seitenbänder sowie das vordere und hintere Kreuzband bilden die passiven Stabilisatoren des Kniegelenks. Isolierte Verletzungen können dabei zu einer Positionsinstabilität führen. Kombinierte Verletzungen führen zur funktionellen Rotationsinstabilität. Bei Verdacht auf das Vorliegen einer Bandverletzung bzw. Instabilität sind insbesondere bei akuten Verletzungen nicht alle klinischen Tests wiederholt bzw. voll umfänglich durchführbar. Es wird daher empfohlen, zunächst Positionsinstabilitäten zu überprüfen bevor dynamische Testverfahren durchgeführt werden.
Die klinische Untersuchung des Kniegelenks (10)Die Untersuchung der seitlichen Aufklappbarkeit erfolgt in Rückenlage. Es gilt, die positionelle Stabilität in Streckung sowie in leichter Beugung zu untersuchen. In Beugestellung werden isoliert Innenband (Valgusstress) und Außenband (Varusstress) getestet, außerdem wird die Spannung der Gelenkkapsel in leichter Beugestellung aufgehoben (Abb.11,12). Deutlich häufiger ist das mediale Kollateralband von Instabilitäten betroffen (4). In Streckstellung sind zusätzliche stabilisierende Strukturen (vorderes und hinteres Kreuzband) angespannt. So kann in Streckstellung eine deutlich vermehrte Aufklappbarkeit zusätzlich auf eine Mitbeteiligung des vorderen Kreuzbandes hinweisen.

Die klinische Untersuchung des Kniegelenks (12)Bei Verdacht auf Ruptur des vorderen Kreuzbandes erfolgt die Untersuchung der vorderen Schublade in Rückenlage. Der passive Test wird in drei Positionen durchgeführt (Innenrotation, Neutralstellung, Außenrotation). Hierzu wird das in 90° flektierte Kniegelenk mit dem Oberschenkel des Untersuchers am Vorfuß des Patienten fixiert. Untersucht wird die AP-Translation des Tibiakopfes zur Femurcondyle. Dabei umgreift der Untersucher mit beiden Händen den Tibiakopf und platziert die Daumen auf der Femurcondyle, um das Ausmaß der Translationsbewegung bestmöglich zu erfassen. Durch das nach vorne Ziehen des Tibiakopfes, wird neben einer möglichen vermehrten Translation auch die Härte des Anschlags mit beurteilt (Abb.13). Ein harter Anschlag spricht für stabile Verhältnisse, ein weicher Anschlag für eine mögliche Läsion des vorderen Kreuzbands. Eine Positionsinstabilität in Neutralstellung spricht für eine isolierte Ruptur des vorderen Kreuzbandes. Positionsinstabilitäten in Innen- und Außenrotation geben Hinweis auf eine Mitbeteiligung des medialen und lateralen Bandapparates. Die Testgenauigkeit der vorderen Schublade ist bei chronischen Instabilitäten höher als bei akuten Verletzungen. Ursache sind intrinsische Limitierungen des Testverfahrens, durch sekundäre Kniegelenksstabilisatoren (Meniskushinterhörner, Femurkondylen) und reduzierte Beugefähigkeit bzw. schmerzbedingte Incompliance mit reflektorisch erhöhtem Muskeltonus in der akuten Situation (9).
Die klinische Untersuchung des Kniegelenks (13)Der Lachman-Test ist der klassische VKB-Test, und insbesondere bei akuten Traumata geeignet, eine vordere Instabilität nachzuweisen. Er erfolgt in Rückenlage und stellt derzeit die sensitivste klinische Untersuchung bei Verdacht auf eine vordere Kreuzbandruptur dar (9). Der Untersucher umfasst bei ca. 30° gebeugtem Hüft- und Kniegelenk der betroffenen Seite das distale Femur sowie die proximale Tibia. Bei fixiertem Femur wird die distale Tibia nach vorne gezogen (Abb.14). Bei einer Kreuzbandverletzung zeigt sich sodann eine vermehrte Translationsbewegung. Ein harter Anschlag kann Hinweis auf eine Teilruptur, ein weicher Anschlag einen Hinweis auf eine komplette Ruptur des vorderen Kreuzbandes geben. Eine Instabilität in Innen- und Außenrotation kann zudem eine Beteiligung der medialen und lateralen Bandstrukturen anzeigen. Bei zusätzlichem Vorliegen einer Meniskusschädigung kann es zu einem hörbaren Schnappen (spontane Rückführung des Tibiakopfes) kommen. Dies entsteht durch einen mobilen Meniskusanteil. Die Folge ist eine kurzfristige Störung der Roll-Gleit-Bewegung des Kniegelenkes (Fenochietto-Zeichen).
Die klinische Untersuchung des Kniegelenks (14)Bei Verdacht auf Ruptur des hinteren Kreuzbandes erfolgt die Untersuchung der hinteren Schublade in Rückenlage. Das betroffene Kniegelenk wird in 90° flektiert, die Ausgangsposition ist wie bei der vorderen Schublade. Durch ventralen Druck auf den Tibiakopf wird die hintere Schublade ausgelöst. Als Blickdiagnose ist in manchen Fällen bereits im Seitenvergleich ein Zurückfallen des Tibiakopfes gegenüber der Femurcondyle sichtbar. Im Anschluss kann man beim Quadrizepstest durch aktive Anspannung des M. quadriceps eine spontane, Ventralisierung des Tibiakopfes (aktive vordere Schublade bei hinterer Kreuzbandruptur) testen.
Die klinische Untersuchung des Kniegelenks (15)Beim umgedrehten Lachman-Test wird der Tibiakopf nach dorsal gedrückt. Ein harter Anschlag kann auch hier Hinweis auf eine Teilruptur sein, ein weicher Anschlag zeigt eine mögliche Komplettruptur an. Insgesamt ist das Testverfahren sensitiver als die hintere Schublade (5).
Die klinische Untersuchung des Kniegelenks (16)Im Anschluss an die Untersuchung möglicher Positionsinstabilitäten sind insbesondere bei Verdacht auf komplexe Bandverletzungen bzw. Rotationsinstabilitäten dynamische Testverfahren anzuschließen. Oftmals zeigen sich hierbei als Ergebnis Subluxationsereignisse.
Die klinische Untersuchung des Kniegelenks (17)Der Pivot-shift-Test erfolgt in Rückenlage. Der Untersucher umfasst die Ferse des betroffenen Beines und führt unter Innenrotation und Valgusstress eine zunehmende Flexion im Kniegelenk durch. Beim Vorliegen einer vorderen Kreuzbandruptur kommt es zu einer vermehrten Ventralisierung des Tibiakopfes, so dass es bei ca. 30° Flexion und intaktem Innenband zu einer Spontanreposition des subluxierten Tibiakopfes durch den lateralseitigen Tractus iliotibialis kommt. Der Test dient im Speziellen, um eine klinisch signifikante anteriore Instabiität zu evaluieren (6) und damit eine relative Indikation zur VKB-Rekonstruktion.
Die klinische Untersuchung des Kniegelenks (18)Der Jerk-Test ist ebenfalls in Rückenlage durchzuführen. Der Ablauf ist eine Umkehrung des Pivot-shift-Tests. Bei innenrotiertem, betroffenem Kniegelenk erfolgt, unter Valgusstress und aus der Beugung kommend, bei ca. 20° eine spontane Reposition des nach ventral verlagerten Tibiaplateaus durch das intakte Innenband. Das so ausgelöste Phänomen ist ebenfalls als Zeichen für eine vordere Kreuzbandruptur zu werten.
Die klinische Untersuchung des Kniegelenks (19)Beim Slocum-Test liegt der Patient in stabiler Seitenlage mit der betroffenen Seite oben. Der Untersucher steht hinter dem Patienten und umfasst sowohl das distale Femur als auch den proximalen Tibiakopf. Aus der Streckung heraus überführt er das Kniegelenk langsam in eine Beugung. Dabei kommt es bei ca. 30° zur spontanen Reposition des zuvor durch die Kreuzbandruptur nach ventral subluxierten Tibiakopfes.

Klinische Funktionsuntersuchung der Patella

Die im Rahmen der klinischen Inspektion und Palpation erhobenen Befunde können, bei Verdacht auf eine Dysplasie und Chondropathie des Femoropatellargelenkes bzw. eine Patellainstabilität, um spezielle Funktionstests erweitert werden (7).
Die klinische Untersuchung des Kniegelenks (20)Beim Zohlen-Zeichen ist die Untersuchung in Rückenlage durchzuführen. Das betroffene Kniegelenk ist voll extendiert. Mit Zeigefinger und Daumen wird die Patella fixiert sowie leicht nach distal geschoben. Der Patient wird aufgefordert, den Quadriceps anzuspannen, sodann erfolgt ein Anpressen der Patella auf das femorale Gleitlager, was sehr schmerzhaft sein kann.
Die klinische Untersuchung des Kniegelenks (21)Beim Hyperpressionstest wird die Patella bei entspannter Muskulatur manuell vom Untersucher in das Gleitlager gedrückt, wobei es ebenfalls zu einem Schmerzereignis, häufiger lateral, kommen kann.
Die klinische Untersuchung des Kniegelenks (22)In beiden Fällen kann dies als Zeichen einer retropatellären Chondropathie bzw. eines korrespondierenden Knorpelschadens im femoralen Gleitlager gewertet werden. Das Schmerzereignis selbst wird jedoch durch eine (begleitende) Synovialitis ausgelöst, was differentialdiagnostisch relevant sein kann.
Die klinische Untersuchung des Kniegelenks (23)Patellainstabilitäten lassen sich oftmals aus Patella-tracking (Funktionsverhalten) und Patella-tilt (Mobilisierung) ableiten. Beim J-Zeichen ist die Untersuchung am sitzenden Patienten durchzuführen. Dabei sollten die Unterschenkel frei hängen. Der Patient wird aufgefordert, aus einer ca. 90°-Beugestellung das betroffene Kniegelenk vollständig zu extendieren. Das J-Zeichen ist als positiv zu werten, sobald es aus einer Beugestellung kommend bei aktiver endgradiger Streckung zu einer plötzlichen Lateralisation der Patella kommt.
Die klinische Untersuchung des Kniegelenks (24)Beim Apprehension-Test liegt der Patient in Rückenlage mit entspanntem Quadrizeps und extendiertem Knie. Der Untersucher drückt vorsichtig und langsam mit beiden Daumen oder Zeigefingern die Patella von medial aus ihrer Führung (Abb.15). Schmerzen können auftreten, sind aber nicht als positiver Test zu werten. Sobald eine vermehrte Quadrizepsreaktion oder eine Abwehrhaltung des Patienten (Angst vor Patellaluxation) auftreten, gilt der Test als positiv. Bei unphysiologischer Reaktion mit V.a. auf Pathologien des femoralen Gleitlagers ist zusätzlich zur klinischen Diagnostik eine umfassende Bildgebung mit Darstellung des gesamten femoropatellaren Gleitlagers (Konfiguration, Ergussbildung, Chondromalazie) erforderlich.

Bildgebung

Die Sonographie am Kniegelenk kann Ergussbildungen quantifizieren, strukturelle Muskel- und Bandläsionen detektieren und in der dynamischen Untersuchung Instabilitäten aufzeigen. Das konventionelle Röntgen dient der Beurteilung der knöchernen Konfiguration bei Arthrose, Ausschluss Fraktur oder Fehlbildung.
Die klinische Untersuchung des Kniegelenks (26)Knorpel, Meniskus, Kreuz- und Seitenbänder sowie die umgebenden Weichteilverhältnisse sind am Besten kernspintomographisch zu erfassen.

Die klinische Untersuchung des Kniegelenks (2024)
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